The Hero with a Thousand Faces

Donald Trump hat erkannt, dass die meisten Menschen kein weiteres Theaterstück auf der Weltbühne sehen möchten, dessen Ausgang schon feststeht, noch bevor es überhaupt begonnen hat. Darum hat er sich kurzerhand die Rolle seines Lebens selbst auf den Leib geschrieben und sie meisterhaft gespielt. Ein steinreicher Hofnarr, der den Adel und das Volk gleichermaßen beleidigt, schockiert, gegeneinander aufhetzt und am Ende dennoch – oder vielmehr gerade deshalb – den Königsthron erobert. Machiavelli hätte seine Freude an ihm oder sähe sich doch zumindest in seinen Theorien bestätigt. Und während Trump in seiner irrlichternden Darbietung von einer Hälfte des Premierenpublikums abwechselnd verlacht und ausgebuht wird, erntet er von der anderen Hälfte stehende Ovationen. Nun, da der Vorhang gefallen ist, müssen wir erkennen, dass wir bisher nur Zeuge des Prologs waren. Das eigentliche Spektakel steht uns noch bevor.   

 

Trump hat alle Tabus und Regeln gebrochen, unsere Wahrnehmung und Urteilsfähigkeit auf den Kopf gestellt, jeden seiner augenscheinlichen Fauxpas letztlich ins Gegenteil verkehrt. Offenem Sexismus gab er den Anschein rustikaler Romantik, seinen Rassismus umwehte der süße Hauch des Pragmatischen, Gewaltbereitschaft schien bei ihm unverzichtbarer Bestandteil des gesunden Menschenverstandes zu sein. Er hat uns gezeigt: Es ist alles eine Frage der Perspektive, insbesondere wenn man die Dinge von ganz hinten, ganz unten aus betrachtet.

 

Was aber werden nun all die Kritiker, sprich die Experten, Politologen und Meinungsmacher tun, die monatelang nicht müde wurden, diesen begnadeten Selbstdarsteller als Schmierenkomödianten und seine Darstellung als unglaubwürdig, amateurhaft, grotesk abzutun? Die Chancen stehen gut, dass sich jeder von ihnen eine warme, sichere Nische suchen wird, um den aufziehenden politischen Winter abzuwettern. Zu einer starken Demokratie gehören schließlich auch immer einige Populisten und Demagogen – wohlgemerkt einige.

 

Und was ist eigentlich mit den schockierten Zuschauern, die nun ihr Geld beziehungsweise ihre Stimme zurückfordern? Was passiert mit den vielen Demonstranten, die ihrer Angst, Fassungslosigkeit und Frustration mit „Not my president“-Rufen und Straßenschlachten Luft machen? Das Problem könnte sich zunächst von selbst lösen. Einer Nation, die vom zweifellos emotionalsten und schmutzigsten Wahlkampf ihrer Geschichte ausgelaugt und all der ideologischen Scharmützel und rhetorischen Tiefschläge müde ist, wird ohnehin dazu neigen, diese Demonstranten relativ rasch als Störenfriede, als liberale Troublemaker und schlechte Verlierer zu kategorisieren. Shut up, go home, get over it. Und ja, die meisten von ihnen sind schon verstummt und nach Hause gegangen. Ob sie aber wirklich darüber hinwegkommen, wird sich noch zeigen.   

 

Die Welt setzt nun auf das Prinzip Hoffnung. In uns allen hat die alte psychologische Schutzreaktion eingesetzt, dass vielleicht doch noch alles gut wird, unser Unbehagen unbegründet war, dass unser Bauchgefühl uns letztlich doch getäuscht hat. In vier Jahren werden wir ganz sicher rückblickend sagen, dass die Welt unter einem Präsidenten Trump vielleicht nicht zu einem besseren Ort geworden, aber ebenso wenig in der Apokalypse versunken ist, vor der wir uns heute noch fürchten – ganz sicher. Es kann eben nicht sein, was nicht sein darf.

 

Andererseits: Kann eine mächtige politische Führungsfigur, die (Wahlkampf hin oder her) derart unanständig daherkommt, wirklich zu einer anständigen Regierungsarbeit imstande sein? Ist es vielleicht doch möglich, dass sich hinter der Fassade des Selbstherrlichkeit so etwas wie Besonnenheit, guter Wille und Professionalität verbergen? Ist ein Werte-, Politik- und Wirtschaftssystem, das jemanden wie Donald Trump nicht nur hervorgebracht, sondern letztlich sogar zu seinem Führer erkoren hat, wirklich willens und in der Lage, Entscheidungen zum Wohle aller statt nur im Interesse einiger weniger zu treffen? Denn genau diese Hoffnungen sind es doch, mit denen wir uns selbst derzeit zu beschwichtigen versuchen. 

 

Meine persönliche Erfahrung hat mir gezeigt, dass Hass meist verführerisch einfach und Liebe mitunter unendlich schwierig sein kann. Wären wir alle in einem Umfeld aufgewachsen, das repressives Verhalten und Skrupellosigkeit mit Erfolg und Bewunderung honoriert, das dem egoistischsten Intriganten und lautesten Schreihals unter uns das Recht des Stärkeren zubilligt – unser Ego wäre heute völlig außer Kontrolle, immun gegen Kritik und das Leiden anderer, manipulativ, arrogant, unersättlich. Dass es bei den meisten von uns anders gekommen ist, haben wir unter anderem den vielen Rückschlägen, Sackgassen, Widerständen und harten Lektionen des Leben zu verdanken, die einem destruktiven Amoklauf unseres Egos glücklicherweise den Schwung genommen haben – bei einigen mehr, bei anderen weniger. In welchem Umfeld Donald Trumps Ego aufgewachsen sein muss, davon habe ich nur vage Vorstellungen, und selbst die verursachen mir schon ein gewisses Unwohlsein.

 

Es mag sein, dass mich meine eigene Lebensgeschichte für viele Erscheinungsformen der Selbstüberschätzung sensibilisiert, vielleicht sogar deformiert hat. Es sind die kleinen Symptome der Arroganz, die scheinbar beiläufigen Worte und unauffälligen Gesten der Wut, die vielen vertrauten Gesichter des Hasses, die in meiner persönlichen Wahrnehmung oft so schmerzhaft deutlich zutage treten. Darum bin ich umso dankbarer, dass für so viele Menschen das Glas nach wie vor halbvoll statt halbleer ist. Menschen, die trotz ihres Hungers nicht jeden Köder schlucken, der ihnen von Hetzern und Heuchlern vorgeworfen wird, die lieber frieren, als sich am Feuer des Falschen zu wärmen. Menschen, die einen klaren Blick auf die Wahrheit aushalten, ohne sich mit ihr abzufinden.

 

Ja, in uns allen steckt dieser Fluchtinstinkt, dieser Verdrängungsmechanismus, der reflexartige Griff nach allem, was uns die Wahrheit kurzzeitig vergessen lässt oder zumindest erträglicher macht. Eine bequeme Ideologie, der omnipräsente Konsum, Ablenkungen, Süchte, Fluchten in unterschiedlichsten Formen. Damit ändern wir natürlich nichts an der Existenz der heißen Kohlen, sondern nur an unserer Haltung, mit der wir auf ihnen sitzen. Aber die Wahrheit ist nun mal hartnäckig. Sie wird umso zudringlicher, je verzweifelter wir sie zu ignorieren versuchen, so lange, bis sie uns schließlich vollständig eingekreist hat und uns keine Blickrichtung mehr zum Wegsehen bleibt und wir den Kampf führen müssen, den man uns aufzwingt. Oder etwa nicht?

 

Wie begegnen wir am besten dem Grölen und Trommeln vor unseren Türen – und vor allem: welche Funktion erfüllt dieses Getöse wirklich im großen strategischen Zusammenhang? Wartet man auf der anderen Seite nur darauf, dass die Gemäßigten die Nerven verlieren, den Fehdehandschuh aufnehmen und sich zu Kurzschlusshandlungen hinreißen lassen? Denn das wäre endlich das so lange herbeigesehnte, weil strategisch notwendige Eskalationsszenario – der Urknall jedes Umsturzes, der Startschuss jeder Revolution. Und wenn dem so wäre: Ist unsere reflexhafte Schonhaltung des Nichts-Hören-Sehen-Sagens dann nicht vielleicht unser Jahrtausende altes instinktgesteuertes Verteidigungs- und Selbsterhaltungsprogramm? Ist das, was man uns auch als fahrlässige Passivität auslegen könnte, nicht tatsächlich das einzig vernünftige und richtige Gegenprogramm zu den Provokationsversuchen eines unberechenbares Gegners – wie das reglose Kauern und Tarnen der Hasen bei einer Treibjagd, bis die Linie der Jäger über sie hinweggezogen ist? Wie werden wir rückblickend einmal unser heutiges Verhalten beurteilen – als Duckmäusertum oder doch als Besonnenheit?            

 

Die richtige Strategie finden wir nicht bei Google, Wikipedia oder Facebook, nicht in der Tagesschau, in Talkshows oder Hollywood, nicht an Stammtischen oder Vereinen und nein, auch nicht in den Kirchen. Doch wenn wir in dieser kurzen Atempause, jetzt, wo zunächst einmal alles gesagt zu sein scheint, endlich schweigen und in uns hineinhorchen dürfen, wenn wir unsere Eltern und Kinder, Freunde und Nachbarn betrachten, wenn wir darüber nachdenken, woher wir kommen, wo wir stehen, was uns hierher gebracht hat und wie wir weitermachen wollen – dann werden wir wissen, welche Rolle uns künftig zukommt.

 

Lampenfieber ist ein schlechter Ratgeber, denn Lampenfieber muss nur derjenige haben, der gleich seinen großen Auftritt auf der Weltbühne hat. Die Rolle aber, die wir in diesem seltsamen Stück zu spielen haben, ist hingegen eine ganz einfache. Dafür müssen wir auf keine Bühne, sondern nur auf die Straße – und zwar auf unserem Weg ins Wahllokal. Und wenn dort auf dem Wahlzettel nichts steht, was uns attraktiv genug erscheint, dann lasst uns eben das am wenigsten Unattraktive wählen.

 

Denn die Alternative dazu heißt nur so, ist aber keine.  

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