Der kleine Diktator

Bei erfolgreich inszenierten Großevents in Form von Militärparaden, Parteitagen, Sportveranstaltungen, Shows oder Verkaufspräsentationen hat der Kopf Sendepause. Endlich ein Takt, eine Macht, eine Wahrheit, die man ganz einfach glauben kann, die all unsere Probleme zugleich erklärt und löst. Endlich verändert sich die Welt so, dass ich in sie hineinpasse. Endlich ich. Ah, tut das gut. 

 

Bei Charlie Chaplins „Der große Diktator“ spürt man, dass es diesen Film sicher nicht so geben würde, hätte Chaplin die ganze Wahrheit gewusst. Aber wie sieht es eigentlich mit dem kleinen Diktator aus, dem Diktator in uns? Und was meint der brave Untertan in uns dazu, der auch nach oben will? Wie sähe unsere Version von Brot und Spielen aus?

 

Wir brauchen diese Show der Macht, weil uns das Glauben dann nicht so schwer fällt. Seien wir ehrlich: Wären beispielsweise all die pompösen Propaganda-Stilmittel der Nazi-Diktatur heute keine verbrannte Erde, keine ideologischen No-Go-Areas, wir hätten mittlerweile eine andere Version der Fackeln und Lichtdome erfunden und uns ihrer bedient. Einen eigenen Habitus, eine neue Sprache, eine andere Interpretation von Gut und Böse. Wir würden das alles vielleicht nicht glauben oder mögen – aber wir würden hinsehen. Wir würden sie sehen wollen, die Macht.  

 

Man sagt den übereifrigsten, eitelsten Mitarbeitern im Dunstkreis der britischen Royals nach, vom sprichwörtlichen Red Carpet Fever infiziert zu sein. Dieses Phänomen ist in beinahe jeder politischen, wirtschaftlichen oder religiösen Struktur zu finden. Macht ist eine Masse – und Masse zieht an. Je näher wir der Macht stehen, desto mehr Macht hat sie über uns.

 

Macht setzt uns ins Recht, auf die Seite des Guten, Richtigen. Wir brauchen den Namen, den Glanz, den Respekt. Wir brauchen diesen Club und seine Bedeutung, sein Geheimnis. Wir wollen nicht mehr klein sein, keine Angst mehr haben, nach unserem Leben suchen. Wir wollen endlich finden. Und so finden wir zur Macht – oder besser: Sie findet uns.

 

Frauke Petry, Ober-Scientologe David Miscavige, Herr Erdoğan – sie alle wissen das. Die Frage ist: Wer weiß es noch? Wer weiß noch, wie verführerisch das ist, wie süß das schmeckt, ein Gott zu sein? Wenn wir ehrlich sind: Wir wissen es längst. Wir alle haben diese kleinen, goldenen Momente im Leben gehabt, in denen wir spürten, was das mit uns macht. Und dass uns diese Momente irgendwann verloren gegangen sind, macht uns wild.

 

Wenn wir also die Macht kritisieren und bekämpfen, dann tun wir das nur zum Einen, weil wir ihre dunkle, pathologische, unmoralische Seite ablehnen. Denn der andere Teil von uns vermisst ihr warmes Licht, ist neidisch, dass es nur auf andere scheint. Denn soviel steht fest: Dieses Licht ändert alles.

 

Etwas in uns muss herrschen, weil es nicht dienen will. Das andere muss dienen, weil es nicht herrschen kann. Wir sollten beide im Auge behalten – den kleinen Diktator und den Untertan. Und glücklicherweise gibt es da ja noch etwas Drittes, etwas viel Größeres in uns.

 

Das lässt hoffen.   

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